Ohne Abschaltzeiten: Viele Schlagopfer an alten Windenergieanlagen
An Windenergieanlagen (WEA) versterben regelmäßig Fledermäuse seltener und geschützter Arten, sofern deren Betrieb in Zeiten hoher Fledermausaktivität nicht zeitweise eingestellt wird. Ein Wissenschaftsteam unter Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) führte nun eine beispielhafte Zählung der Schlagopferzahlen durch eine systematische Erfassung von Fledermauskadavern unter alten Anlagen durch, die ohne Auflagen zum Fledermausschutz betrieben werden. In zwei Monaten kamen pro WEA durchschnittlich 70 Fledermäuse zu Tode. Auch wenn diese Zahlen nicht eins-zu-eins auf alle 20.000 alten Anlagen in Deutschland übertragen werden könnten, ergäbe sich ein erheblicher Handlungsbedarf. Der Betrieb alter Anlagen müsste dem aktuellen Regelwerk angepasst werden, argumentieren die Autor:innen in einem Aufsatz in der Fachzeitschrift „Global Ecology and Conservation“.
Der Betrieb von Windenergieanlagen (WEA) zur Stromerzeugung hat unerwünschte Nebenwirkungen auf die Tierwelt, denn an den Rotoren versterben regelmäßig Fledermäuse seltener und geschützter Arten, wie dem Großen Abendsegler (Nyctalus noctula) oder der Rauhautfledermaus (Pipistrellus nathusii). Die Verluste an den WEA tragen zu Bestandsrückgängen bei. Dieses gravierende Problem wird bei neuen WEA durch das zeitweise Abschalten der Anlagen bei hoher Fledermausaktivität berücksichtigt – jedoch erst seit gut zehn Jahren. Ältere WEA, also etwa 75% aller derzeit in Deutschland in Betrieb befindlichen Onshore-Anlagen, sind bisher von solchen Auflagen nicht betroffen. „Da wir wissen, dass diese Auflagen das Schlagrisiko an Windenergieanlagen für die Tiere tatsächlich nennenswert senken, müssen wir von erheblichen Schlagopferzahlen vor allem an unregulierten Anlagen und an Anlagen an ungünstigen Standorten ausgehen“, sagt PD Dr. Christian Voigt, Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie des Leibniz-IZW.
Voigt und seine Kolleginnen errechneten im Jahr 2021 beispielhaft die Schlagopferzahlen an einem seit 2001 laufenden Windpark mit drei Anlagen – mit dem unerfreulichen Ergebnis, dass in zwei Sommermonaten pro Anlage im Durchschnitt 70 Schlagopfer zu verzeichnen waren. Hochgerechnet auf die zwanzigjährige Laufzeit dieses Windparks muss von erheblichen Opferzahlen an diesem Windpark ausgegangen werden. Um diese präzisen Zahlen zu erlangen, sammelte das Wissenschaftsteam in den Monaten August und September Fledermaus-Schlagopfer an den drei WEA des Windparks westlich von Berlin. „Präzise Zählungen sind eine methodische Herausforderung, da wir aus zwei Gründen längst nicht alle Schlagopfer finden können“, führt Ko-Autorin Dr. Carolin Scholz aus. „Zum einen finden wir nur einen Bruchteil der Kadaver in der hohen Vegetation, zum anderen werden die Kadaver durch Füchse sowie Krähen- und Greifvögel relativ schnell wieder abgetragen.“ Jede einfache Zählung wäre daher eine massive Unterschätzung der tatsächlichen Schlagopferanzahlen. Das Team führte daher mit Mäusekadavern ein Experiment durch, um die Sucheffizienz zu ermitteln. Mäuse- und Fledermauskadaver haben eine ähnliche Größe und daher eine ähnlich hohe Wahrscheinlichkeit, gefunden zu werden. Darüber hinaus ermittelten sie, wie lange Mäusekadaver, die unter den Anlagen an Zufallsorten verteilt wurden, vor Ort verbleiben. „Wir konnten ermitteln, dass selbst erfahrene Suchteams nur eins von sechs (17%) Schlagopfern finden und dass knapp die Hälfte der Kadaver innerhalb von 24 Stunden von anderen Tieren entfernt wurden“, sagt Scholz. „Nach den 24 Stunden blieben nahezu alle verbliebenen Kadaver noch ungefähr eine Woche liegen, sodass wir einen sehr zuverlässigen Korrekturwert für unsere systematische Zählung im Abstand von im Mittel zwei Tagen generieren konnten.“
Mittels beider Korrekturwerte errechnete das Team eine Anzahl von 209 Schlagopfern an den drei Windenergieanlagen in den zwei Monaten während der Hauptzugzeit der Fledermäuse. Obschon die Anzahl von 70 Schlagopfern pro WEA und Jahr im Vergleich zu bisher bekannten Werten relativ hoch ist, sieht Christian Voigt diesen als konservativ an, da zum Beispiel Teile der Zugzeit nicht in den Untersuchungszeitraum fielen. Vermutlich ist der Standort des Windparks aus Sicht des Fledermausschutzes sehr ungeeignet, da viele Hecken und Gebüsch in der Nähe der Anlagen stehen. „Diese konservative Hochrechnung ist alarmierend genug, denn wir müssen davon ausgehen, dass in Deutschland an 20.000 nicht regulierten Anlagen im Laufe ihrer Lebensdauer sehr viele Schlagopfer zu verzeichnen sind“, so Voigt. „Dies ist bei gefährdeten Arten mit rückläufigen Bestandszahlen wie dem Großen Abendsegler nicht akzeptabel, zumal Fledermäuse durch vielerlei Rechtsgrundlagen auf nationaler und EU-Ebene streng geschützt sind.“
Die Autorinnen und Autoren plädieren daher dafür, dass der Betrieb alter Anlagen überdacht wird und dem aktuellen Regelwerk – beispielsweise im Hinblick auf verpflichtende Abschaltungen in Zeiten hoher Fledermausaktivität – angepasst wird. Bei alten Anlagen, die an besonders ungünstigen Standorten stehen, müsse auch ein Abbau in Erwägung gezogen werden, damit die Ziele der Energiewende zur Reduktion von Treibhausgasen bei der Energieproduktion nicht unverhältnismäßig auf Kosten der Artenvielfalt erreicht werden.
Publikation:
Voigt CC, Kaiser K, Look S, Scharnweber K, Scholz C (2022): Wind turbines without curtailment produce large numbers of bat fatalities throughout their lifetime: A call against ignorance and neglect. Global Ecology and Conservation, Volume 37, 2022, e02149. DOI: 10.1016/j.gecco.2022.e02149